Klosterkirche, heute Dreifaltigkeitskirche

Wie es in früheren Zeiten nicht unüblich war, kam eines Abends ein junger Handwerksbursche während seiner Wanderschaft auch durch die Tore der Stadt Görlitz. Er war guter Dinge und wollte sich Arbeit suchen, doch was er kurz nach seiner Ankunft hier erlebte, hat er wohl sein Leben lang nicht vergessen. Ob die Geschichte stimmt, ist historisch nicht verbürgt, zumindest aber könnte sie sich so oder ähnlich zugetragen haben.

Wie sich die Leute erzählten, kam er an diesem Tag an der Klosterkirche auf dem Obermarkt vorbei und hörte, dass just ein Glöckchen Menoriten und Vorübergehende zum Abendgebet rief. Tiefgläubig und auf Gottes Beistand hoffend, betrat er das Gebetshaus, bekreuzigte sich, stellte seinen Tornister an den hinteren Stuhlreihen ab und sank auf die Knie. Tief in Andacht versunken und müde vom Wandern, legte er jedoch bald seinen Kopf an die Bank und schlief ein. Niemand bemerkte ihn, auch nicht der aufsichtshabende Mönch. Nachdem die Messe vorüber war, löschte dieser, bis auf wenige, alle Kerzen, verschloss den Eingang und verließ das Kirchenschiff.

Einige Stunden vergingen, die Mitternachtsglocke hatte gerade geschlagen, da erwachte der Bursche aus seinem tiefen Schlaf. Ihm fröstelte, es war dunkel und mutterseelenallein kam ihm seine Situation langsam zu Bewusstsein. Bis zum frühen Morgen musste er es jetzt wohl oder übel in der tristen Kirche, umgeben von gespenstischer Stille, aushalten. Langsam schlich er zum Altar, dorthin wo das ewige Licht brannte, um in seiner kalten Einsamkeit wenigstens ein klein wenig Geborgenheit und Gottes Nähe zu spüren. Vorn angekommen, setzte sich der junge Mann in einen der den Altar umgebenden Chorstühle und machte es sich so gut es ging bequem.

Altes Kloster, heute Gymnasium

Fast schon wäre er wieder in Morpheusʾ Armen versunken, da hörte er plötzlich vom benachbarten Kloster her seltsame Geräusche. Schwere Schritte kamen näher und ein Scharren, als würde der Leibhaftige wieder eine verfluchte Seele in sein Reich schleppen. Bleich vor Angst, nun ginge es auch ihm an den Kragen, sprang der Bursche hinter das Chorgestühl. Kaum hatte er das getan, öffnete sich die Eisentür zum Klostergang. Was er jetzt zu sehen bekam, ließ ihm mehr als einen Schauer über den Rücken laufen. Herein trat ein schwarzer Mönch. Mit seinen hölzernen Pantoffeln klapperte er langsam über den Steinfußboden. In der Linken hielt er eine Laterne, deren matter Schein sein ohnehin hässliches Gesicht in einer furchterregenden Maske erscheinen ließ. Aber was war das für ein Bündel, an dem er sich derart abmühte? Der Bursche musste zwei Mal hinschauen, bevor er es glauben konnte. Hinter sich zog der Mönch einen leblosen Frauenkörper. Am langen blonden Schopfe gepackt zerrte er ihn bis vor den Altar. Dort ließ er den Kopf der Toten achtlos auf den Boden plumpsen. Nachdem der Ruchlose vor dem Opfertisch eine Steinplatte herausgehoben hatte, schob er – erst jetzt konnte der junge Mann es genau erkennen – das schöne schlanke Mädchen in die Gruft hinein. Er verschloss die Öffnung und genauso unheimlich, wie er gekommen war, verließ er die Kirche wieder. Dem in seiner Jugendlichkeit etwas zart besaiteten Handwerksburschen zitterten alle Glieder. Dennoch gelang es ihm, bis zum Morgen im Halbschlaf dahinzudämmern. Und als früh der erste Mönch die Eingangstür öffnete, schlich er sich unbemerkt hinaus. Er tat das ohne Sorgen, denn er nahm an, diese Nacht nur einen bösen Traum erlebt zu haben.

Görlitz Fleischerstraße

Das änderte sich, als er unweit der Klosterkirche in der Fleischergasse eine Herberge gefunden hatte. Dort, so fiel ihm auf, liefen alle aufgeregt umher und steckten ihre Köpfe zusammen. Was den los sei, fragte er und erfuhr, dass seit gestern die junge Tochter der armen Witwe von nebenan spurlos verschwunden war. Zur Abendmesse sei sie gegangen, von da aber nicht zurückgekehrt. Wie sie denn aussähe, fragte der Bursche. Noch während ihm die Leute das Mädchen beschrieben, blieb ihm beinahe das Herz stehen. „Heilige Muttergottes“, schoss es ihm durch den Kopf, „hat mich letzte Nacht doch kein Traum genarrt“. Sofort, ohne noch ein Wort zu verlieren, nahm er seine Beine unter den Arm und lief zum Rathaus, seine grausige Beobachtung anzuzeigen.

Im Rathaus indes war dem Bürgermeister das Verschwinden der jungen Frau bereits zu Ohren gekommen. Ohne Zeit verstreichen zu lassen, trommelte er die Stadtwache zusammen, ließ Kirche und Kloster umstellen und sich von dem jungen Mann die fragliche Steinplatte zeigen. Und tatsächlich: darunter lag, ungefähr 6 Fuß in der Tiefe, die Leiche des vermissten Mädchens. Sofort wies der Bürgermeister den Guardian (Vorsteher des Klosters) an, alle Mönche an Ort und Stelle zu versammeln. Befragt, welcher von diesen es gewesen sein könnte, erkannte der Bursche den Missetäter auf Anhieb. Unter Tausenden hätte er das gekonnt, so tief hatte sich das nächtliche Erlebnis nebst dem hässlichen Gesicht des Frevlers bei ihm eingebrannt.

Völlig eingeschüchtert – alles Leugnen hätte sicher auch nichts genutzt – gestand der Mönch daraufhin seine schreckliche Tat. Der Drang nach einem Weibe sei in ihm übermächtig geworden, jammerte er unter Tränen. Derart, dass er nicht umhingekommen wäre, dieses begehrenswerte junge Mädchen nach der gestrigen Abendmesse mit allerlei Vorwänden in seine Zelle zu locken. Der Teufel sei offenbar in ihn gefahren, denn dort habe er sie schändlich gebraucht und, damit sie schweige, anschließend zu Tode gewürgt.

Hotel Klötzelmönch

Zu jener Zeit gab es für solch eine Tat nur eine Strafe, nämlich den Tod. Der Sage nach mauerte man den sündigen Mönch bei lebendigem Leibe im Bereich des Klosters ein. Allerdings berichteten Klosterbrüder und, nach deren Auszug, die Schüler des dortigen Lyzeums immer wieder, dass er dadurch keine Ruhe fände. Pünktlich zur Mitternacht klappere er mit Holzpantoffeln und seiner Laterne durch die Klostergänge. Einmal soll er einen Barbierjungen, der sich in den Kreuzgängen verlaufen hatte, sogar derart erschreckt haben, dass dieser tags darauf starb. Erst nachdem Arbeiter beim Abriss der alten Klosteranlage (siehe Artikel Klosterkirche →) Gebeine fanden und selbige in geweihter Erde bestatteten, soll sich der Spuk aufgelöst haben.