Der Böhmische Wenzel, richtig hieß er Wenzel Kummer, war ein Räuberhauptmann, der zu Lebzeiten großes Aufsehen erregte. Heute jedoch wird er, im Gegensatz zu seinem berühmten ‚Kollegen‘ Johannes Karasek, von den Geschichts- bzw. Geschichtenschreibern weniger beachtet. Dabei haben beide viele Gemeinsamkeiten. Wie Karasek erblickte Wenzel Kummer um das Jahr 1764 in Böhmen das Licht der Welt. Wie er erlernte Wenzel einen soliden Handwerksberuf und hielt nichts vom Zwangsdienst beim Militär. Beide desertierten aus dem österreichischen Heer und wurden allein deswegen lange gesucht. Fassen konnte ihn die Obrigkeit zunächst nicht, denn 1802 schloss er sich in Neuschrigiswalde einer Bande an, zu deren Anführer ihn die Mitglieder kurze Zeit später wählten. In dem nach 1809 faktisch herrenlosen Gebiet der sogenannten Republik Schirgiswalde war er sicher, außer er befand sich während seiner Raubzüge und Ausflüge auf böhmischem Territorium oder in der Oberlausitz. 1815 fasste man Wenzel genau dort und sperrte ihn in die Fronfeste der Ortenburg Bautzen, von wo aus ihm zwei Mal die Flucht gelang. Im schlesischen Hirschberg endgültig geschnappt, verstarb er 1820 im Gefängnis Jungbunzlau. Wie im Fall des Räuberhauptmanns Karasek sind die Menschen damals geteilter Meinung gewesen. Die Reichen fürchteten und hassten ihn, während die Armen ihn als Helfer verehrten. Viele Geschichten machten ihn nach dem Tode zur Legende. Mit der Zeit sind sie in Vergessenheit geraten.
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Wie die alten Leute erzählten, muss es um das Jahr 1810 gewesen sein, da lief Wenzel Kummer eines Tages aus Böhmen kommend den Weg entlang zwischen Hainspach und Sohland. Eigentlich wollte er schnell nach Hause, allerdings mochte er im Augenblick nicht weiter, denn am Himmel schoben sich tiefblaue Wolken zusammen. Zwischendrin zuckten Blitze und die ersten fetten Regentropfen klatschten an seine Jägeruniform. Das Dorf war noch fern, aber zum Glück entdeckte er ein abgelegenes Häuschen, in dem er Unterschlupf finden konnte. Eben hatte er vor, an der Tür zu klopfen, da vernahm er von drinnen lautes Gejammer.
„Wird hier etwa ein Weib geschlagen“, fuhr es ihm durch den Kopf.
Entschlossen, dem ein Ende zu bereiten, riss er die Tür auf. Er hasste Männer, die ihren Frust am weiblichen Geschlecht ausließen. Als er die ärmliche Stube betrat, blieb er jedoch verdattert stehen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte eine junge Frau erschrocken auf. Wie sie merkte, dass offenbar kein Räuber vor ihr stand (wie sehr sie doch irrte), wandelten sich ihre Züge und sie schaute ihn flehend an. Die Finger in den prallen Bauch gekrallt erzählte sie, dass es erst in acht Tagen so weit sein sollte, aber nun wolle das Kleine schon heute raus. Wenzel war sofort im Bilde. Hier war die Not groß, hier musste Hilfe her!
„Wo ist denn dein Mann“, wollte er wissen.
„Unterwegs zu meiner Mutter. Vor morgen ist er nicht zurück.“
Kaum gesagt, ging es von Neuem los. Die Frau krümmte sich und schrie vor Schmerz. Für Wenzel das Zeichen, sofort zu handeln. Ohne zu zögern, rannte er hinaus und ins Dorf hinein. An den prasselnden Regen, die Blitze sowie den krachenden Donner verschwendete er keinen Gedanken. Nur schnell weiter und jemanden finden, der helfen konnte!
Bei den ersten Anwesen angelangt, klopfte er wahllos an eine Tür. Wo denn die nächste Wehmutter zu finden sei, wollte er wissen. Der Bauer wies ihm den Weg: Drei Häuser weiter solle er es versuchen, meinte er und schaute dem Fremden verdutzt hinterher. Zum Glück war die Frau da und öffnete sogleich. Unvermittelt packte Wenzel ihre Hand:
„Komm mit“, sagte er hastig, „du wirst gebraucht“!
Ohne sie loszulassen, zerrte Wenzel die sprachlose Amme hinter sich her. Erst wie beide die Stube betraten, fand sie zu sich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
„Gütiger Gott“, schrie sie.
Und zu Wenzel gewandt:
„Hol Wasser herbei und such Tücher! Beeil Dich, s‘ ist höchste Zeit!“
Lange musste Wenzel nicht warten. Rücksichtsvoll hatte er die Stube verlassen, bald aber vernahm er lautes Babygeschrei und ging wieder hinein. Ein Knäblein wars, dass ihm die Hebamme erleichtert entgegenstreckte. Während sie es liebevoll in das eilig herbeigeschaffte Leinen wickelte, fragte Wenzel die Mutter, wie denn der Junge heißen solle. Völlig ermattet, dennoch freudestrahlend, sagte sie, dass sie dies nicht ohne ihren Mann bestimmen wolle.
„Nennt ihn doch nach mir und tauft ihn auf den Namen Wenzel.“
Bei seinen Worten holte er eine Rolle Taler aus der Tasche und drückte sie der Mutter in die Hände. Auch die Hebamme bekam ihren reichlichen Lohn. Fassungslos über so viel Glück verabschiedeten die Frauen den Fremden mit Tränen in den Augen. Weiter fragen, dazu kamen sie nicht, denn Wenzel legte Eile an den Tag. Schließlich durfte keiner Verdacht schöpfen oder sich Gedanken machen, wieso ein einfacher Jägersmann an einem normalen Tag mit so viel Geld in den Taschen umherlief.
Zunächst tat das auch niemand. Vielmehr überwog die Freude, vor allem am nächsten Tag, als der Mann mit der frisch gebackenen Großmutter eintraf. Beide staunten nicht schlecht, den Nachwuchs schon jetzt begrüßen zu dürfen. Voller Dankbarkeit erfuhren sie vom geheimnisvollen Retter und dessen edler Spende. Natürlich gab es angesichts dieser Tatsache keine Einwände, den Jungen auf den Namen Wenzel zu taufen. Das ganze Dorf war zur Feier eingeladen. Wieder und wieder mussten die junge Mutter und die Hebamme vom geheimnisvollen Jäger berichten. So wunderte es nicht, dass unter vorgehaltener Hand bald von einer neuen (guten) Tat des Böhmischen Wenzel die Rede war. Eine Erzählung mehr, ihn im Laufe der nächsten 10 Jahre zu einer Legende werden zu lassen.