Räuber in der Oberlausitz - Der schwarze Scholich

Meinen Artikel: „Der schwarze Scholich und seine Bande“ habe ich zuerst im Magazin Granit (in der Oberlausitz leben, arbeiten und wohlfühlen) veröffentlicht. Wie immer ist er bis jetzt gut bei den Lesern angekommen, sodass ich ihn jetzt auch auf meiner Webseite veröffentliche. Wer ihn lieber im Magazin lesen möchte – kein Problem: Es ist kostenfrei an publikationswirksamen Auslagestellen (z. B. Touristinformationen und Fremdenverkehrseinrichtungen sowie in ausgewählten Restaurants und Geschäften) erhältlich.

Der schwarze Scholich und seine Bande

Es war zur selben Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts: Johannes Karasek und Wenzel Kummer (siehe, Heft 1 / 2022) trieben in der Oberlausitz ihr räuberisches Handwerk, da tauchte Ende 1806 eines Abends in der Rennersdorfer Fichtelschenke ein Fremder auf. Nach einer Weile setzte er sich mit an den Tisch zum Kartenspiel. Doch bald geriet er mit dem Wirt in Streit.
„Du spielst falsch“, fauchte er Johann Heinrich Reimann an.
Es dauerte nicht lange, da gingen sich beide an die Gurgel. Fast hätte es eine Messerstecherei gegeben, wäre nicht ein gewisser Johann Friedrich Pätzold zur Tür hereingeschneit. Er brachte die Kampfhähne auseinander, mahnte zur Ruhe, worauf der Unbekannte das Lokal unter Drohungen verließ. Pätzold setzte sich und runzelte die Stirn. Irgendwoher kannte der den Mann …

Er überlegte und überlegte, dann rief er laut:
„Leute, das war der Schwarze Scholich!“
Dass er ihn erkannte, war kein Wunder. Genau wie er stammte Scholich aus Schlesien. Offenbar war der dortzulande bekannte Raubgeselle jetzt auf der Flucht und deshalb im Sächsischen gelandet. Er selbst war ebenso erst vor Kurzem im Nachbarort Neundorf angelangt. Dort hatte er beim Müller Anstellung gefunden. Fleißig half er mit, ihm eine neue Mühle aufzubauen. Danach arbeitete er in ihr als Müllerbursche. Damit aber war bald Schluss, denn der stattliche 24-Jährige hatte sich auf die schöne Witwe Anna Böhmer eingelassen. Sie war eine lotterhafte Weibsperson, die eine bestimmte Männerkraft mehr schätzte als tüchtige Arbeit. Seinem Meister gefiel diese Liaison nicht, und da Pätzold sich den Umgang mit Anna nicht verbieten lassen wollte, trennte er sich von Müller und Mühle. Gerade eben war es, da kam Pätzold von der Böhmerin. Beide hatten von Geld gesprochen und wie es am besten zu beschaffen sei. Jetzt lief ihm der Scholich über den Weg – sollte das ein Zeichen sein?

Historisches Messtischblatt Ober- und Niederrennersdorf

Niederrennersdorf um 1850

Die Fichtelschenke heute

Scheinbar ja, denn eben fuhr ein Wagen an die Fichtelschenke heran. Eine vornehme Dame stieg aus und betrat den Gastraum. Sie wäre die Hochmeisterin des Stifts Joachimstein und gerade ihres Koffers beraubt worden, sagte sie aufgeregt. Pätzold grinste heimlich.
„Sieh an, sieh an, der Scholich lässt keine Gelegenheit aus.“
Auf die Frage, ob nicht ein kräftiger Mann sie bis Bernstadt begleiten könne, bot er ihr seine Dienste an. Nachdem er die Belohnung eingestrichen hatte, machte er sich bei Dunkelheit und Kälte auf den Rückweg in die Fichtelschenke. Plötzlich vernahm er seitlich aus dem Gebüsch ein metallisches Schlagen und lief hin. Wie er bereits ahnte, hockte dort Scholich und versuchte, sein Beutestück zu öffnen.
„Ei, ei, da weiß ich Rat“, meinte er und schlug vor, den Koffer an einen sicheren Ort zu bringen und die Beute zu teilen.
Scholich überlegte einen Augenblick, ob er den Mitwisser abmurksen oder auf seinen Vorschlag eingehen solle. Letztlich entschied er sich für die zweite Variante. Also trugen beide den Koffer nach Neundorf ins Haus der Anna Böhmer. Zunächst erschrocken, war sie jedoch binnen Kurzem entzückt von den herrlichen Kleidern und froh, die Bekanntschaft Scholichs gemacht zu haben. Der Grundstein für eine neue Räuberbande war gelegt …

Um nicht aufzufallen, zog Pätzold im Dezember 1806 vom Haus der Anna Böhmer in die Fichtelschenke. Das hieß freilich nicht, dass er ihr entsagte. Das Gegenteil war der Fall! Nur sollte die Liebesbeziehung eben nicht mehr für Tratsch sorgen. Mit dieser Annahme lag der junge Mann jedoch falsch. Nicht nur seine häufigen Besuche bei ihr, auch die verdächtigen Aktivitäten in der Fichtelschenke sprachen sich allerorts herum. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit verkehrte dort allerhand zwielichtiges Gesindel. Wie das Gericht später feststellte, bestand die Bande zunächst aus 12 Personen. Deren Anführer waren Scholich und Pätzold, den Unterschlupf spendete Reimann. Dazu kamen die Anna Böhmer, der Mühlbursche Neumann aus Marklissa, der Musketier Johann Elsner, Michael Stöcker und Gottlob Geisler aus Neundorf, die Gebrüder Hirth aus Schönbrunn bei Görlitz, Johann Gottfried Hentschel aus Mitteloderwitz sowie Georg Kießling aus Eibau.

Damit er seine Opfer ausbaldowern konnten, fing Scholich einen Handel mit Kochgeschirr an und zog tagsüber von Haus zu Haus. Für die Wohlhabenden in der Gegend um Bernstadt und Großhennersdorf begannen daraufhin unsichere Zeiten. Mit Stricken, Brecheisen, Dietrichen, Messern und Schlageisen bewaffnet zogen die Spitzbuben jetzt fast jede Nacht los. Kurz vor und nach Weihnachten 1806 raubten und stahlen sie alles, was ihnen in die Finger kam. Und obwohl die Fichtelschenke längst in Verruf geraten war, brachte keiner die Übeltäter zur Anzeige. Im Gegenteil gelang es den Raubgesellen sogar, am Tag den Rechtschaffenen zu spielen. Insbesondere Pätzold und die Böhmerin stellten ihren neuen Reichtum zuweilen offen zur Schau. Zwar hatte sich Letztere bisher an keinem Zug beteiligt, stachelte aber die Männer im Hintergrund an. Außerdem gab sie Tipps, schmiedete mit Pätzold sowie Scholich Pläne und bekam dafür reichlich „Lohn“.

Die Gier der Bandenmitglieder wurde immer größer. Gleich im neuen Jahr ging es am 4. Januar 1807 weiter mit einem „Besuch“ in der Eulmühle am Petersbach. Eine Woche darauf brachen sie beim Großhennersdorfer Bauern Haschke ein. Beide Male lief alles reibungslos ab, ohne dass die Betroffenen vom Einbruch selbst etwas bemerkten. Davon ermutigt wollte die Bande nunmehr lohnendere Objekte in Angriff nehmen.
„Wie wäre es“, schlug Reimann eines Abends seinen Zechkumpanen vor, „wenn wir uns einmal das Amtshaus in Bernstadt vornehmen“.
Er wäre selbst ein paar Mal da gewesen und wüsste, dass dort eine Menge Geld liegt. Dass dies ein riskantes Unternehmen darstellte, war jedem klar. Dennoch stimmten alle dafür und legten für den Einbruch die Nacht zum 15. Januar fest. Gegen ½ 12 Uhr langten sie mit rußgeschwärzten Gesichtern dort an, brachen die Fensterläden auf und drangen ins Gebäude ein. Groß war jedoch ihr Schreck, als plötzlich der Amtsdiener im Nachthemd die Treppe herunterkam. Er schlug sofort Alarm und rief die Nachtwächter herbei. Im wahrsten Sinne Hals über Kopf zwängten sich die Räuber daraufhin durch die engen Fensteröffnungen und rannten zurück ins Freie. Nach dem Motto „Rette sich wer kann“, stoben sie auseinander und kamen erst weit draußen auf freiem Feld wieder zusammen.

Als alle da waren (außer Scholich, der hatte sich wer weiß wohin verdrückt), meinte Pätzold, dass es in der Fichtelschenke heute zu gefährlich sei. Also liefen sie allesamt nach Neundorf zum Haus der Anna Böhmer. Freudig erregt öffnete diese die Tür. Als sie jedoch statt prall gefüllter Geldsäcke nur hängende Köpfe sah, rastete sie aus:
„Gestandene Mannspersonen wollt ihr sein und könnt nicht mal zu nachtschlafender Zeit vernünftig einbrechen“, kreischte sie.
Nach einiger Zeit beruhigte sie sich und beschloss nunmehr die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Kennt ihr die alten Ludwigs draußen in der Heuscheune“, fragte sie in die Runde.
Die meisten nickten und so erläuterte die Böhmern ihren Plan. Wie sie nämlich zu wissen glaubte, hätten die Alten ihr Leben lang gespart. Man müsste sie nur genügend „kitzeln“, dann würden sie schon verraten, wo sie ihre Taler versteckt hielten.

Gleich am nächsten Tag lief Anna Böhmer hinaus in die Heuscheune. Unter dem Vorwand, dem alten Ehepaar etwas verkaufen zu wollen, spähte sie das Zielobjekt aus. Ohne es miteinander abgesprochen zu haben, kreuzte plötzlich auch der Schwarze Scholich auf. Zwar taten sie, als würden sie sich nicht kennen, trotzdem waren damit für beide die Messen gesungen. Als die Bande in der Nacht vom 17. zum 18. Januar anno 1807 die Heuscheune heimsuchte, erkannten die dabei heftig drangsalierten Alten die Böhmerin und den Scholich an der Stimme. Daraufhin ging es Schlag auf Schlag. Am Abend des 19. Januar ließ der Gerichtshalter zu Großhennersdorf mit vom Förster eilig zusammengetrommelten Leuten die Fichtelschenke umstellen. Auf sein Kommando stürmten sie das Räubernest und nahmen den Großteil der dort versammelten Bande fest. Einen Tag später war Anna Böhmer dran. Wie die anderen brachte man sie ins Schloss Großhennersdorf, wo sie der Dinge 1 Jahr und 7 Monate lang harren musste.

Anna Böhmer hatte Glück. Während Scholich und ihr Geliebter Johann Friedrich Pätzold am 8. August 1808 am Strang starben, wurde sie unter Gejohle der Bevölkerung im Schlosshof an den Pranger gestellt. Der sächsische König Friedrich August hatte ihrem Gnadengesuch stattgegeben. Sie durfte den Rest ihres Lebens im Zuchthaus Zittau verbringen. Ebenso die anderen Bandenmitglieder: Auch sie erhielten empfindliche Haftstrafen.

Der Schwarze Scholich

„Anna Böhmer“ am Pranger

Schlossruine Großhennersdorf

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