Wer über den Bautzener Hauptmarkt schlendert, wird den hier stehenden Brunnen kaum übersehen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil auf ihm ein übermannsgroßer Barde thront, der entschlossenen Auges hinüber zum Rathaus schaut. „Das ist unser Ritter Dutschmann“, hört man den Einheimischen auf neugierige Touristenblicke hin sagen. Doch auf die Frage, wer dieser Ritter war, ist meist Achselzucken die Antwort. So genau weiß das nämlich keiner.
Halten wir uns an Fakten, dann wissen wir, dass Brunnen in mittelalterlichen Zeiten obligatorisch in jede Stadt gehörten. Entweder beförderten sie das kühle Nass direkt aus dem Grundwasser, oder die Bürger leiteten es via ausgehöhlter Baumstämme in die Entnahmestellen. Letzteres taten auch die Bautzener, die damals übrigens noch Budissiner hießen. Sie schöpften ihr Wasser aus der Spree, von der aus sie es über die Alte Wasserkunst in die Stadt und somit auch in diesen Brunnen pumpten. Nun trug es sich zu, dass Bautzen, wie auch die anderen Städte der Oberlausitz, anno 1547 infolge des sogenannten Pönfalles fast alle Privilegien und Rechte verloren. Es dauert jedoch nicht lange, da erhielten oder kauften sie die Meisten von ihnen zurück. Eingedenk dessen und der Freude entsprechend, spendete der Bautzener Rat seinen Einwohnern für 2.000 Taler einen neuen Marktbrunnen. Zwischen 1571 und 1575 wurde er erbaut und erhielt als Krönung ebendiese Figur. Gekleidet ist sie in eine römische Rüstung mit einem Helm und vier Federn obendrauf. Den linken Arm stützt sie auf das Bautzener Wappenschild und in der Rechten hält sie eine Lanze mit Fahne.
Wann es genau passierte, ist nicht mehr auszumachen. Sicher nicht lange, nachdem der Dresdner Bildhauer Christoph Walther II sein Werk fertiggestellt hatte. Da kamen die Leute auf die Idee, die aus Sandstein gehauene Plastik Ritter Dutschmann zu nennen. Noch heute meinen manche, dass er einen slawischen Fürsten darstellt. Aus Übermut, bzw. weil er tags zuvor damit geprahlt hatte, versuchte er auf seinem Pferd die hölzerne Marktzisterne zu überspringen. Er schaffte es nicht und ertrank darin. Eine andere Sage wiederum berichtet, dass es sich bei der Ritterfigur um den ersten Makgrafen der Oberlausitz namens Gero handelt. Alles Quatsch sagt dagegen eine dritte Fraktion. Sie meint, es wäre ganz einfach der Roland von Bautzen, welcher treulich über die Gerichtsbarkeit, respektive das städtische Marktrecht wacht.
Zwischen Mythos und Wahrscheinlichkeit
Nun kann ja niemand im ‚wahrsten Sinn des Reimes‘ etwas gegen Sagen sagen. Im Kern sollen sie ja immer ein Stück Wahrheit enthalten. Genau unter die Lupe genommen, können aber alle drei Varianten nicht stimmen. Vielleicht mag es ja, um der ersten Variante das Wort zu reden, dereinst einen übermütigen slawischen Reiter gegeben haben, der seine Künste in Bautzen zeigen wollte. Aber warum sollte ihm ein von deutschen Stadträten dominiertes Bautzen ein Denkmal setzen? Das scheint unwahrscheinlich. Unwahrscheinlicher noch, dass es sich bei dem Ritter um den ersten Markgrafen der Oberlausitz handelt. Einen eigenständigen Landesherren hat die Oberlausitz nämlich nie besessen. Nach ihrer Entstehung Ende des 16. Jahrhunderts herrschten immer fremde Herren über unser Land. Darunter die böhmischen sowie sächsischen Könige und Kurfürsten, der ungarische König Mathias Corvinus, die preußischen Könige und in Persona die späteren deutschen Kaiser. Sie alle führten im Namen als Nebenbezeichung den Titel „Markgraf der Oberlausitz“. Ein Gero ist unter ihnen nicht zu finden. Allerdings, das muss der Vollständigkeit halber gesagt werden, gab es einen ostsächsischen Grafen dieses Namens, der von 939 bis 965 lebte und im Namen König Ottos I. die Herrschaft über die slawischen Stämme östlich der mittleren Elbe und der Saale ausübte. Ob er es sein soll, ist höchst unwahrscheinlich. Bliebe zuletzt noch die Sache mit dem Roland zu klären. Rolande waren meist aus Eichenholz geschnitzte Figuren, die Städte vor ihren Rathäusern als Zeichen der Gerichtsbarkeit aufstellten. Allerdings hatte Bautzen bereits seit 1213 die Obere Gerichtsbarkeit inne. Wozu also ein so später Roland?
Eine Figur im Stil ihrer Zeit
Wen aber stellte dieser ominöse Ritter Dutschmann dar? Die Antwort scheint enttäuschend: Als Mensch oder Zeichen der Gerichtsbarkeit hat er nie existiert. Er entstand offenbar aus der Phantasie seiner Auftraggeber sowie der filigranen Handwerkskunst des Bildhauers. Ein Blick auf die damalige Stilepoche, die Renaissance, genügt, um einen Aha-Effekt zu erzeugen. In der Zeit des Umbruches vom Mittelalter zur Neuzeit dominierte im künstlerischen Schaffen die Rückbesinnung auf die Leistungen der griechischen sowie römischen Antike. Auf Straßen und Plätzen entstanden unter anderem zahlreiche Monumentalplastiken mit entsprechenden Elementen. Daher sicher die römische Rüstung und der für die Epoche typische Kontrapost, ein Gestaltungsmittel der Bildhauerei, welches das Wechselverhältnis von Stand- und Spielbein in der menschlichen Anatomie darstellt. Alles in allem sollte die Brunnenfigur ganz einfach nur als Symbol für die Kraft und Macht der oberlausitzer Sechsstadt Bautzen stehen – nicht mehr und nicht weniger!
Und warum gaben ihr die Bürger den Namen Dutschmann? Eine Antwort darauf zu geben, bedeutet in trüben Gewässern zu fischen. Vielleicht entspringt er der Sage vom ertrunkenen Reiter, der mundartlich sozusagen ins Wasser „dutschte“. Oder er kommt, wie Meyers großes Konversationslexikon weiß, vom Wort „Dutchman“, einer früheren Bezeichnung für deutsche Landsleute. Doch egal wie, der Ritter Duschmann und sein Brunnen sind ein Wahrzeichen und gehören heute genauso zum Stadtkern von Bautzen wie dar Reichenturm, das Rathaus oder der Dom St. Petri. Er ist, wie die gesamte 1000-jährige Stadt an der Spree immer einen Besuch wert.