Räuber in der Oberlausitz

Diesen Artikel über Räuber in der Oberlausitz hatte ich erstmalig im Magazin „Granit“, Ausgabe 01/2022 veröffentlicht. Da er dort auf großes Interesse stieß, veröffentliche ich ihn hier noch einmal auf meiner Webseite ViaOla. Diese kleine Serie werde ich fortsetzen. Seien Sie schon gespannt auf die nächste Ausgabe des Magazins. Dort habe ich über die Bande des „Schwarzen Scholich“, einer dazumal ebenfalls gefürchteten Räuberbande aus der Oberlausitz geschrieben. Holen sich das Magazin kostenfrei überall, wo es ausliegt. 

Die zwei großen Räuber in der Oberlausitz
Betrachtungen zwischen Legende und Wirklichkeit

Räuber gibt es seit Alters her. Was sich im Laufe der Zeit jedoch geändert hat, sind ihre Motive und Methoden. Das hat sicher etwas mit der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung der jeweiligen Epochen zu tun. So waren die Handlungen der Banden im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vielerorts geprägt von Not und Elend. Der siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 und die Ereignisse in den Jahren ab 1806 bis 1815 haben in Deutschland, Sachsen wie auch in der Oberlausitz drastische Spuren hinterlassen. Ganze Dörfer brannten ab, viele Bauernhöfe standen leer. Die Felder lagen brach und die Speicher sind von durchziehendem Militär geplündert worden. In den Städten sah es nicht besser aus. Besonders nach dem Rückzug Napoleons aus Russland quollen sie über von Soldaten. Sie raubten der Bevölkerung das letzte Hemd und bescherten den Leuten Krankheiten und Tod.

In diesem Zusammenhang wundert es nicht, dass sich Menschen im puren Überlebenskampf auf das Stehlen und Rauben verlegten. In vielen deutschen Landen vernahm man die Kunde von gefährlichen Räuberbanden. Karl Stülpner im Erzgebirge oder der Rheinländer Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, waren nur die Spitzen der Eisberge. Die mehrfach kriegsgebeutelte Oberlausitz machte da keine Ausnahme. Dergestalt sattelte beispielsweise der Besitzer der Gemauerten Mühle Bellwitz, ein gewisser Johann Traugott Ay, auf das Räuberhandwerk um. Er trieb Gleichgesinnte auf und suchte mit ihnen die umliegenden Gehöfte heim. Lange jedoch währte sein schändliches Treiben nicht. In der Nacht zum 13. August 1807 brach seine Bande in die Höllmühle Dürrhennersdorf ein. Auf mörderische Art misshandelten sie den Müller nebst Frau und erbeuteten 162 Taler. Die Gerichte fassten ihn und machten Ay den Prozess. Nachdem die Urteile gefallen waren, zimmerten sie im Dorf einen dreisäuligen Galgen und knüpften ihn am 1. Dezember 1809 daran auf. Seine Spießgesellen kamen mit Festungshaft und Zuchthausstrafen davon.  

Eröffnung Museum 1813 an der Gemauerten Mühle Bellwitz

Gemauerte Mühle Bellwitz, historische Ansichtskarte

Räuber in der Oberlausitz - Johannes Karasek

Wie diesen Räuber in der Oberlausitz gab es hierzulande noch viele solcher „kleinen Fische“. Die Großen dieser Zunft dagegen hatten mehr Erfolg und hielten wesentlich länger durch. Ihr hierzulande bekanntester Vertreter ist Johannes Karasek. In Seifhennersdorf hat er es sogar zu einem Museum gebracht. Der Prager oder Böhmische Hansel, wie ihn die Leute früher nannten, kam am 10. September 1764 in Smíchov, einem heutigen Stadtteil von Prag, zur Welt. Er erlernte die Berufe eines Tischlers und Fleischhauers und trat danach in die österreichische Armee ein. Dort schien es ihm allerdings nicht zu gefallen. Karasek desertierte und schloss sich der im südlichen Gebiet der Oberlausitz operierenden Bande des Räuberhauptmanns Palme an. Diese fand Unterschlupf in der Schenke des Neuwalder Gastwirtes Greibich bzw. Kreibich. Er heiratete dessen Tochter und unternahm aus der böhmischen Enklave Leutersdorf heraus zahlreiche Raubzüge. Inzwischen zum Anführer der Bande aufgestiegen, suchte er dabei logischerweise ausschließlich reiche Leute heim. Zum großen Teil brachte ihm das die Sympathie der armen Bevölkerungsteile ein. Heimlich rieben sie sich die Hände und unterstützten ihn sogar. Im Jahre 1800 endete seine Karriere. Nachdem die Bande das nahe gelegene Gut Oberleutersdorf ausgeraubt hatte, wurde sie dingfest gemacht. Bis 1803 verblieb Johannes Karasek im Burgwasserturm der Bautzener Ortenburg. Danach kam er in die Festung Dresden, wo er am 14. September 1809 verstarb.

Karasek-Museum in Seifhennersdorf

Ortenburg in Bautzen

Wenzel Kummer, ein Räuber in der Oberlausitz und in Böhmen

Was nur wenige wissen, ist, dass kurz nach Karasek ein wesentlich aktiverer Räuber in der Oberlausitz sowie im böhmischen Raum sein Unwesen trieb. Unerklärlicherweise ist dieser im Gegensatz zum Karasek kaum im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben. Sein Name: Wenzel Kummer. Weil er aus Nordböhmen stammte, nannten ihn die Leute „Böhmischer Wenzel“. Wie Karasek wurde er 1764 geboren, erlernte einen ordentlichen Beruf und desertierte aus der österreichischen Armee. Anno 1802 schloss er sich einer Bande an, die die Gegend um Schirgiswalde verunsicherte. Gewandt und schlau, wie er war – er sprach perfekt deutsch, tschechisch und sorbisch – gelang es ihm bald, deren Anführer zu verdrängen. Außerdem machte er sich den Wirt der Dorfkneipe von Neuschirgiswalde, einen gewissen Täßler, zum Kumpan. Mit seiner Unterstützung unternahm er von dort aus viele Raubzüge.

Wenzels Bekanntheitsgrad stieg. Ähnlich dem von Karasek eilte ihm sein Nimbus voraus. Die Obrigkeit und Reiche hassten ihn, die Armen standen ihm teilweise wohlwollend gegenüber und strickten Legenden um ihn. Diese mehrten sich mit jedem Fall, in dem er seinen Häschern entkam. Das erste Mal, als diese die Dorfschenke in Neuschirgiswalde durchsuchten. Zwei Mitglieder seiner Bande wurden verhaftet. Er selber versteckte sich auf dem Dach hinter der Esse, blieb unentdeckt und konnte unbehelligt in Richtung Schlesien verschwinden. Da es ihm in seiner böhmischen Enklave zu heiß geworden war, quartierte sich Wenzel nach seiner Rückkehr zunächst inkognito im Gasthof Zur Goldenen Sonne in Bautzen ein. Selbstredend nicht, ohne weiter der Räuberei zu frönen. Dabei hätten sie ihn einmal fast erwischt. Im Jahre 1808 kehrte seine Bande im Anschluss an den ertragreichen „Besuch“ der Königsmühle Niederkaina im dortigen Dorfgasthof ein. Wie leichtsinnig! Seine Verfolger umstellten die Kneipe und nahmen die Bande hops. Außer dem Böhmischen Wenzel! Der hatte sich wieder erfolgreich verdrückt!

Anno 1809 kam Wenzel ein Ereignis europäischer Politik gelegen: Österreich verlor die Enklave Schirgiswalde. Für die nächsten 35 Jahre gehörte sie weder zum Kaisertum Österreich noch zu Sachsen. Die Republik Schirgiswalde entstand. Sie war ein idealer Rückzugsort für gestrauchelte Existenzen. Desgleichen für Wenzel, der sein altes Quartier bezog und als Räuber in der Oberlausitz da weitermachte, wo er vor vier Jahren aufgehört hatte. Der Hass der Obrigkeit auf ihn stieg, die gemeinen Leute lachten sich ins Fäustchen. Gleichwohl fürchteten auch sie die von ihm und seiner Bande an den Tag gelegte Brutalität. Einige Eltern nutzten das sogar aus, um ihre Kinder zu disziplinieren. Wollte ein Mädchen oder Bube beispielsweise abends nicht ins Bett, genügte ein Blick nach draußen und der Satz:
„Schnell die Fenster und Türen zu, der böhmische Wenzel schleicht wieder ums Haus.“
Augenblicklich verschwand selbst der widerspänstigste Quälgeist wie ein Blitz in der Kiste und zog sich die Decke über den Kopf.

Historische Ansichtskarte Schirgiswalde. Aufgang zur Katholischen Kirche

Historische Ansichtskarte Schirgiswalde – Totalansicht

Ein klägliches Ende

Im Herbst 1813 begann der Stern des Räuberhauptmanns Wenzel Kummer zu sinken. Allerdings nicht, ohne vom Volk noch ein Stück höher in den Legendenhimmel gehoben zu werden. Was war passiert? Am 26. Oktober jenes Jahres nahm ihn der Polizei-Oberjäger Fritsche in Neudorf bei Schirgiswalde fest. Sogleich brachte man ihn in die Fronfeste der Bautzener Ortenburg. Und was bis dahin weder Karasek noch einem anderen gelungen war, machte Wenzel wahr: Am 25. Juli 1815 floh er aus seinem Verlies. Dabei half es der Gerichtsbarkeit wenig, dass sie ihn 2 Monate später wieder einfangen konnte. In der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1815 brach er im Turm mehrere Türen auf und verschwand erneut. Für den Verstand der einfachen Leute war das zu viel. Sie dichteten ihm Zauberkräfte an: Auf einen Besenstiel sei er aus seiner Zelle geritten und mit ausgebreitetem Rock durch die Luft geschwebt, meinten sie. Nunmehr zum Mythos aufgestiegen, fiel es dem Böhmischen Wenzel immer schwerer, sich zu verstecken. Noch einige Zeit versuchter er sich als Pascher, dann wurde er endgültig gefasst. Es war ein Diebstahl in einem Fleischerladen zu Hirschberg am See (Doksy, Tschechien), der ihn zu Fall brachte. Im Jahre 1820 verstarb er im Zuchthaus Jungbunzlau (Mladá Boleslav, Tschechien).

Bücher aus der Oberlausitz