Vor 470 Jahren erlebten die Oberlausitzer Sechsstädte einen in der Geschichte beispiellosen Fall politischen und wirtschaftlichen Niedergangs. Schuld daran waren keine Katastrophen oder kriegerische Zerstörungen, sondern über Jahre angestaute Wut, Neid, Intrigen und Denunziationen. Die Pön (Strafe) war ein Akt überzogener Rache, der vieles nie wieder werden ließ, wie es einmal war.
Selbstbewusste Städte vs. landständiger Adel
Angefangen hatte alles mit dem Erstarken der Städte und der Entwicklung eines „freien“ Bürgertums. Bereits ab dem Mittelalter waren diese wehrhaften Bollwerke im Lande immer wieder Motor der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Das war in der später sogenannten Oberlausitz nicht anders. Hier taten sich 1346 die Städte Görlitz, Bautzen, Zittau, Lauban, Kamenz und Löbau in einen Bund zusammen, der im Grunde nichts Anderes tat, als seine wirtschaftlichen Interessen zu sichern. Begünstigend kam hinzu, dass das Markgraftum Oberlausitz keine eigene, ausgleichende, Fürstendynastie besaß, sondern anderen nur als Nebenland angeschlossen blieb. Vor 470 Jahren gehörte die Oberlausitz zum Königreich Böhmen, die Sechsstädte unterstanden direkt dem Landesherrn. Der allerdings war weit und beschäftigte sich nur am Rande mit den Belangen der Region. Die praktische Regierung übte eine ständische Körperschaft aus, die regelmäßig in Bautzen (damals Budissin) zusammenkam. Sie bestand aus den vier Standesherrschaften, den vier geistlichen Stiften, dem landsässigen Adel sowie den sechs königlichen Städten. Traten Probleme auf, mussten die Abgesandten Kompromisse finden. Oftmals zwang dabei der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen auf. Und weil die Oberlausitzer Städte nicht selten ihre herausragende politische sowie ökonomische Macht ausspielten, blieben Konflikte, insbesondere mit dem Landadel, nicht aus. Der Hass aufeinander wuchs und Rachegedanken entstanden.
Ein lustloses Fußvolk
Auch als nach 1517 die Ideen Luthers mehr und mehr Anhänger fanden, waren die Oberlausitzer Sechsstädte richtungsweisend. Entgegen ihrem König Ferdinand I., der mit seinem Hauptland katholisch blieb, entschieden sie sich für die evangelische Lehre. Über ihre Weichbilder, die nicht unbeträchtlichen ländlichen Besitzungen sowie durch Handel und Wandel trugen sie Luthers Gedanken hinaus zu den Menschen in Dörfer und Landstädtchen. Auf diese Weise wurde die gesamte Oberlausitz überwiegend evangelisch. Ein Widerspruch, den Ferdinand I. offenbar tolerierte, der ihn jedoch nicht hinderte, die Oberlausitzer aufzufordern, gegen ihre Glaubensbrüder in den Krieg zu ziehen. An der Seite seines katholischen Bruders, Kaiser Karl V., sollten sie 1546/47 Waffenhilfe gegen die im Schmalkaldischen Bund organisierten evangelischen Fürsten leisten. Für die Dauer von zwei Monaten hatten die Adligen 1.000 Reiter und die Städte 500 Mann Fußvolk zu stellen. Jegliches Verhandeln half nichts! Zähneknirschend mussten die Städte Truppen zusammenwürfeln. Am 25. Februar 1547 setzten sie diese Richtung Elbe in Marsch. Dort angekommen blieb den ohnehin lustlosen Männern indes nichts weiter übrig, als zu warten. Wie das Schicksal es fügte, marschierte die kaiserliche Streitmacht nämlich erst am 13. April von Eger ab und traf am 23. April im Lager westlich von Meißen ein. Im Gegensatz zu den Reitern des Oberlausitzer Adels hatten es die Fußsoldaten jedoch vorgezogen, schon zu
verschwinden. Pünktlich nach Ablauf der zwei Monate wollten sie wieder zu Hause bei Muttern sein. So jedenfalls legten sie die vom König gesetzte Frist aus. Ungehalten darüber schrieb Ferdinand I. noch am selben Tag an die Städte, worin er die Verlängerung des Kontingents auf weitere zwei Monate forderte. Doch es war zu spät! Schon am 24. April fochten Katholische und Evangelische bei Mühlberg ihre entscheidende Schlacht. Sie endete mit einem Sieg der kaiserlichen Truppen, und das (man sollte es kaum glauben) ohne Mithilfe der 500 Hanseln aus der Oberlausitz.
Die Stunde der Rache ist gekommen
Die Städte erhielten das Schreiben ihres Königs erst am Tag nach der Schlacht. Ihre Bestürzung war groß, denn Bürgermeister und Ratsherren schwante, was jetzt kommen könnte. Schnell rüsteten sie die Leute wieder ein, beluden einige Wagen mit Proviant und schickten das Ganze wieder retour ins kaiserliche Lager. König und Kaiser rümpften angesichts ihres grandiosen Sieges allerdings nur die Nase. 30.000 Mann war ihr Heer stark und die Evangelischen waren geschlagen! Was sollten sie jetzt noch mit den paar Leuten anfangen? Noch dazu mit Bürgern der Sechsstädte, die von vornherein keine Lust hatten, gegen ihre Glaubensgenossen zu kämpfen. Obwohl an der Sache nicht ganz unschuldig, war Ferdinand I. fest entschlossen, den Städten für ihr „Vergehen“ einen Dankzettel zu verpassen. Der wäre vielleicht nicht allzu hart ausgefallen, wenn nicht der Oberlausitzer Adel auf die Matte getreten wäre. Er hielt seine Stunde für gekommen, sich an den Städten, ob der über Jahrhunderte dauernden Drangsale und Benachteiligungen, zu rächen. Vornehmlich den Männern um den Erzkatholiken Dr. Ulrich von Nostitz gelang es mit Verleumdung, Denunziation und Intrige, den König gegen die Städte aufzuhetzen.
Eine überzogene Strafe
Bange Monate des Wartens vergingen, bis am 9. August des Jahres 1547 in den Städten endlich ein Schreiben des Königs einging: Jede von ihnen hatte eine Abordnung auf die Prager Burg zu schicken. Als die Vertreter am 30. August dort ankamen, war der Schrecken groß. Sie wurden unverzüglich eingesperrt und mit dem Vorwurf des Ungehorsams und der Untreue gegenüber dem König konfrontiert. Das sofort aufgesetzte Gnadengesuch half da wenig. Dem Adel war es gelungen, die Städte derart in Misskredit zu bringen, dass diese eine überzogen harte Strafe erwartete. Alle über die Jahrhunderte erlangten Privilegien gingen verloren. Die Landgüter waren an den König abzutreten, die Kanonen und Kirchenkleinodien abzugeben. Außerdem mussten die Städte gemeinsam 100.000 Gulden Strafe zahlen, die Zunftordnungen galten nicht mehr und die Sechsstädte verloren das Braumonopol in ihren Weichbildern. Am 10. September durften jeweils zwei Männer aus jeder Abordnung nach Hause fahren, um die Strafartikel bekannt zu geben. Die Bürger daheim freilich konnten kaum glauben, was sie zu hören bekamen. Wie kann der König nur so dumm sein, meinten viele. Denn das, was er ihnen im September anno 1547 verordnete, bedeutete nichts weiter als den wirtschaftlichen Ruin der Städte. Die Macht des Sechsstädtebundes war gebrochen – fortan hatte der Adel das Sagen in der Oberlausitz.
Die Strafe wird korrigiert
Allzu lange dauerte es nicht, da sah Ferdinand I. seinen Fehler ein. Die eigenen, königlichen, Städte derart zu bestrafen, damit hatte er sich selber ins Fleisch geschnitten. Die Oberlausitz war einer wichtigen und ausgleichenden politischen sowie wirtschaftlichen Kraft beraubt. Deren Fehlen verminderte im Grunde die eigenen Einnahmen und schwächte seine Position im Lande. Stück für Stück erhielten die Sechsstädte deshalb ihre Privilegien zurück. Sie durften ihre Landgüter zurückkaufen, ab 1559 die freie Ratswahl durchführen sowie drei Jahre später die von ihm entzogene Gerichtsbarkeit wieder ausüben. Nichtsdestotrotz änderten sich nach dem Pönfall die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Oberlausitz grundlegend. Die aus dem Mittelalter überkommene Übermacht der Städte war ein für alle Mal gebrochen und die zentrale Gewalt konzentrierte sich mehr beim Oberamt in Bautzen. Dennoch blieb die Oberlausitz noch über Jahrhunderte ein von vier Ständen regiertes Land. Das änderte sich auch unter der späteren Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Sachsen nicht. Erst nach der Teilung Sachsens im Jahre 1815 ging die Ära der alten Ständeordnung im preußischen Teil der Oberlausitz zu Ende – mit der Einführung einer neuen Verfassung 1831 auch im sächsischen Teil.
Sehr interessanter Artikel, einfach Klasse und spannend zu lesen
Hallo, das ist ein hochinteressanten Abriß zur Geschichte der Oberlausitz. Ich freue mich dass so etwas aufgeschrieben und an dieser online Stelle publiziert wird.