A. Krenz
Über 200 Jahre sind vergangen, seit am 9. Juni 1815 europäische Großmächte in Wien den Schlussstrich unter 8 napoleonische Herrschaftsjahre zogen. Sie unterzeichneten eine Akte, die Kriege rächte und Gebiete neu aufteilte. Die Strafe traf Sachsen fast allein und damit auch die dazugehörige Oberlausitz. Sie zahlte einen Tribut, dessen Folgen bis heute diskutiert werden.
Das Heilige Römische Reich deutscher Nation geht unter
Man schrieb das Jahr 1805. Napoleon schickte sich an, den Kontinent zu erobern. In der Schlacht bei Austerlitz besiegte er die Armeen Russlands sowie Österreichs und bestimmte zunehmend die europäische Politik. 16 deutsche Fürstentümer verließen das Reich und vereinigten sich unter französischem Protektorat als Rheinbundstaaten. Daraufhin legte Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone nieder – das Heilige Römische Reich deutscher Nation war Geschichte. Doch zwei Große, nämlich Sachsen und Preußen, stellten sich dem Eindringling entgegen. Ihr (noch) gemeinsames Schicksal stand allerdings unter keinem guten Stern. Am 14. Oktober 1806 erlitten sie bei Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage. In Preußen, wie auch im Kurfürstentum Sachsen hatte fortan Napoleon das Sagen. Insbesondere Sachsen band er eng an sich, indem er dessen Kurfürsten zum König erhob. Bis zum Schluss hielt dieser zu Frankreich. Ein entscheidender Fehler, denn trotz, dass große Teile der sächsischen Armee in der Völkerschlacht 1813 zu den Verbündeten überliefen, gehörte Sachsen zu den Verlierern der Befreiungskriege. Friedrich August I. kam als Kriegsgefangener nach Friedrichsfelde und sein Königreich wurde ein von Russen und Preußen verwaltetes Generalgouvernement.
Ein Kongress der Mächtigen – das Volk bleibt draußen
Dass die Preußen Friedrich August I. festhielten, kam nicht von Ungefähr. Sie und die Russen waren längst übereingekommen, wie Europa nach dem Krieg aufzuteilen wäre. Schon am 28. Februar 1813 hielten beide Seiten in Kalisch (heute Kalisz – Polen) schriftlich fest, dass Preußen im Fall eines Sieges mit ganz Sachsen und Russland mit dem Herzogtum Warschau belohnt werden sollte. Mit Unterzeichnung dieses Friedens- Freundschafts- und Bündnisvertrages wechselte der preußische König endgültig die Seiten. Im Oktober 1813 gehörte er zu den Siegern. Neben den anderen Großmächten Österreich, Großbritannien, Russland und Frankreich, konnten seine Verhandlungsführer auf dem in Herbst 1814 beginnenden Wiener Kongress aus starker Position verhandeln. Im Verlaufe dieser Konferenz stand freilich längst nicht mehr die „Befreiung der Völker vom napoleonischen Joch“ an erster Stelle. Es ging schlicht um die Realisierung lang gehegter Annexionsgelüste sowie die Restaurierung alter politischer Verhältnisse. Das gemeine Volk, auch die Interessen des regionalen Adels, der Städte und Kirchen, spielten so gut wie keine Rolle.
Sachsen wird geteilt
Wie sich bald herausstellte, hing sich der Kongress an der sächsisch-polnischen Frage auf. Lange und hart rangen die Abgeordneten. Hinter den Kulissen zogen Unterhändler die Fäden. Preußen einerseits war dem lang gehegten Wunsch nahe, sich Sachsen vollständig einverleiben zu können und das Zarenreich hielt Polen schon fest in seinen Händen. Österreich, das bourbonische Frankreich und Großbritannien andererseits fürchteten ein zu starkes Preußen. Sie plädierten für einen Verbleib Sachsens beim angestammten Königshaus. Wenn es denn nicht anders ginge, wären sie auch mit einer Teilung des Landes einverstanden. Mittendrin agierte ohne offizielle Zulassung der sächsische Gesandte Graf Schulenburg. Er setzte sich vehement für den uneingeschränkten Erhalt seines Landes ein, liebäugelte insgeheim sogar mit einem Anschluss an Österreich. Fast wäre es zwischen den Verhandlungsführern zum Krieg gekommen. Den Kräfteverhältnissen gehorchend, einigten sie sich letztendlich auf eine Teilung Sachsens. Für die entgangenen Flächen erhielt Preußen Gebiete im Rheinland. Am 6. Februar 1815 unterzeichneten die Verhandlungsführer einen entsprechenden Teilungsplan. 57 Prozent des sächsischen Territoriums und 42 Prozent der Bevölkerung sollten an den preußischen Staat gehen. Der andere Teil durfte hoheitlich beim sächsischen König verbleiben.
Die vergebliche Reise nach Wien
Für das alte Markgraftum Oberlausitz war das eine Katastrophe. 1635 vom Königreich Böhmen als Kriegspfand zu Sachsen gekommen, hatten die Oberlausitzer in rund 800 Jahren niemals mit einer Teilung leben müssen. Das Land war ein aus 2 Kreisen bestehender homogener, historisch gewachsener Raum, mit eigener Verfassung und Traditionen. Darauf waren die Oberlausitzer stolz. Vom fernen Wiener Kongress bekamen sie anno 1815 nicht viel mit. Zeitungen gab es wenig, die meisten Informationen verbreiteten sich über Flugschriften oder per Post. Umso größer war das Entsetzen, als plötzlich Meldungen auftauchten, man wolle die Oberlausitz zwischen Sachsen und Preußen aufteilen. Die Mehrheit der Einwohner sprach sich für den Verbleib bei Sachsen aus. Ein kleiner Teil hingegen hätte sich mit einer Übergabe an Preußen abfinden können. Aber eine Teilung akzeptieren, das war einfach undenkbar. Das Schlimmste zu verhindern reiste deshalb der Landesälteste von Gersdorf mit einem Begleiter am 3. März 1815 nach Wien. Er hatte ein Bittschreiben in der Tasche und suchte um Audienz beim österreichischen Außenminister Metternich nach. Doch sie wurden nicht einmal vorgelassen, denn die Würfel waren ja längst gefallen. Nur der aus Kriegsgefangenschaft nach Pressburg entlassene sächsische König versagte noch seine Einwilligung. Am Ende blieb ihm keine Wahl und er stimmte am 18. Mai den von den Großmächten ausgehandelten Bestimmungen zu. Am 9. Juni 1815 endete der Wiener Kongress – das Schicksal Sachsens und der Oberlausitz war besiegelt.
Oberlausitz – eine historisch-politische Ortsbestimmung
Einige Geschichtsschreiber meinen, die Verhandlungsführer in Wien hätten die Grenzen zur Trennung Sachsens willkürlich gezogen. Das stimmt insofern nicht, da sie extra Kommissionen bildeten, die Gebiete, Bevölkerungsanteile sowie Steueraufkommen gegeneinander auflisteten. Sie wogen Äquivalente aus und bestimmten erst danach genaue Demarkationslinien. Regionale Befindlichkeiten spielten dabei allerdings keine Rolle. In dieser Beziehung sei der Begriff Willkür gerechtfertigt. Ab dem Sommer 1815 trennte eine Linie – im Osten beginnend bei Seidenberg, entlang der Wittig, über den Eigenschen Kreis, Obersohland, Weißenberg, nördlich Königswartha bis Schwepnitz – die Oberlausitz in einen sächsischen und preußischen Teil. Ländereien sowie historisch gewachsene Kirchspiele waren auseinandergerissen und der Oberlausitzer Sechsstädtebund hörte in der alten Form auf, zu existieren. Auch das Siedlungsgebiet der Obersorben war ab diesem Zeitpunkt zweigeteilt. Mit Wut im Bauch machte der Begriff Muss-Preuße unter den neuen Berliner Untertanen die Runde. Da das Gebiet der jetzt preußischen Oberlausitz zu klein war, schlug man es verwaltungstechnisch der angrenzenden Provinz Schlesien zu. Die Niederlausitz dagegen kam zu Brandenburg. Rasch wurde in den neuen Kreisen eine Verwaltungsreform durchgeführt, während im sächsischen Teil der Oberlausitz vorerst alles beim Alten blieb. Für die nachfolgenden 130 Jahre gehörte die preußische Oberlausitz zur Provinz Schlesien bzw. von 1919 bis 1938 und von 1941 bis 1945 zur Provinz Niederschlesien.
Seit mittlerweile 70 Jahren sind die alten preußischen Verwaltungsstrukturen in den Annalen der Geschichte verschwunden. Was aber ist unterm Strich geblieben? Natürlich unsere gute alte Oberlausitz – unser altes Markgraftum, das die längste Zeit seiner Existenz zur Krone Böhmens gehörte. Heute leben wir wieder in Sachsen und die Oberlausitzer östlich der Neiße in Polen. Darüber zu grübeln hilft nichts. Selbst in unserer Fantasie können und wollen wir daran nichts ändern. Wir leben zusammen in einem friedlichen, gemeinsamen Europa und bleiben ganz einfach, was wir sind: Oberlausitzer!