Manche Menschen in der Oberlausitz kennen ihn noch: den Begriff „Zu Lichtn gihn“. Dass es sich hierbei um einen uralten, aus der Armut geborenen Brauch handelt, wissen die Wenigsten. Er gehörte einst zum festen Bestandteil dörflichen Lebens. Er hielt die Gemeinschaft zusammen, ließ zarte Bande und neue Familien entstehen.
In früheren Jahrhunderten verbannten rauer werdende Tage die Menschen ab November in ihre Stuben. Draußen gab es kaum zu tun, die frühzeitige Dunkelheit machte betrübt und träge. Vor allem die Jugend hielt es zu Hause nicht aus. Sie sehnte sich nach Gesellschaft und Licht. Gerade Letzteres bestand in armen Bauern- und Weberhäusern oft nur aus Kienspänen, wenigen Kerzen, oder, wenn es hochkam, aus einer Öllampe. Was also lag näher, als zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen? Man ging hinaus, kam mit Gleichgesinnten zusammen und sparte sich teure Beleuchtung sowie Heizung. In der Oberlausitz, aber auch im benachbarten Schlesien, in Böhmen und anderswo in deutschen Landen entstand auf diese Weise ein fester Brauch. Der Volksmund nannte ihn Lichtgang. Bei uns hieß er „Zu Lichtn gihn“ bzw. auf Hochdeutsch „Zu Lichten gehen“. Sobald die Dunkelheit einbrach, versammelten sich junge (nicht weniger ältere) Menschen in einem größeren Raum, zu dem sie „Lichtlstube“ sagten. Die jeweiligen Gastgeber waren der „Lichtlvater“ und die „Lichtlmutter“. Sie wechselten täglich, mancherorts auch wöchentlich.
Pünktlich und gut gelaunt rückte das Volk zum „Lichtloab‘d“ an. Die Frauen und Mädchen trugen ihren Spinnrocken (siehe Bild) unter den Arm, denn wo Licht brannte, sollte die Zeit nicht nutzlos verstreichen. Arbeit und Wohlbehagen gehörten für sie zusammen. Nicht selten sagten die Mädchen deshalb: Mir tun „Zu Roacken gihn“. Am Beginn des ersten dieser Abende wurde traditionell jedoch nicht gearbeitet, sondern „die Schwelle gelegt“. Das hieß, jeder trug ein Töpchen bei sich, in das die Gastgeber Kaffee schenkten. In gemütlicher Runde saßen alle ein halbes Stündchen beisammen. Im Anschluss nahmen die Frauen und Mädchen am Tisch, „bei Lichte“, Platz und begannen mit ihrer Arbeit. Die Burschen hockten dahinter auf der Wandbank. Sie zogen kräftig an ihren Tabakspfeifen und sorgten für Unterhaltung. Erst kam der neuste Dorftratsch, dann erzählten sie Geschichten. Je gruseliger, desto besser, noch dazu bei flackerndem Kerzenschein. Dazwischen ertönten Gesänge und – wie konnte es anders sein – es kam zwecks Anbändlung zu Neckerein zwischen der Dorfjugend. Dem Ganzen setzte der 10 Uhr-Schlag ein Ende. Der „Lichtlvater“ gebot Feierabend und die Mädchen rafften ihr Spinnzeug zusammen. Selbstverständlich mussten sie den Heimweg nicht allein antreten. Es folgte die sogenannte „Heemführ’che“, in deren Folge sicher manch einer unserer Vorfahren entstand. Nicht alle Lichtloab’de“ allerdings endeten Punkt 10. Einmal im Winter gab es die „Lange Nacht“. Bier, Schnaps und Wein gingen reihum, die Leute hatten Spaß und blieben bis zum Morgen. Genauso am letzten Abend. Er hieß „Der letzte Schlag“ und beendete die Saison.
Wann diese beschauliche Tradition endete, ist nicht exakt zu beziffern. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts wird sie langsam ausgelaufen sein. Die Hausweberei verschwand, später bekamen die Ortschaften elektrischen Strom und den Menschen ging es wirtschaftlich besser. Die Notwendigkeit, Licht zu sparen fiel weg. Mit ihr leider auch eine gewisse Gemütlichkeit. Geblieben ist der Name dieses Brauches. Noch heute sagen einige Leute in der Oberlausitz „mir gihn zu Lichtn“, wenn sie im Dunklen „zu Nubbersch machen“. Dort plauschen sie, und wie es bei der Gelegenheit oft der Fall ist, auch über die Vergangenheit:
„Ach was war sie schön, die gute alte Zeit …“
Doderzu gibts e schiens Liedl von Torsten Münnich /Feuerzeuxx): „Kimmst de mit zu Lichtn“.