Die Oberlausitz ist ein altes Kulturland. Besiedelt wurde es einst von Slawen, denen deutsche Einwanderer folgten. Bräuche, Mythen und Sagen vermischten sich und neue Geschichten entstanden. Einige von ihnen sind Legenden, sind Aberglaube. Manche haben einen wahren Kern und bei anderen weiß man nichts Genaues – wie bei der Sage vom Ascheweibchen zu Zittau:

A. Krenz

Marktplatz und Rathaus Zittau, Foto: Michael Kreibohm

Marktplatz und Rathaus Zittau, Foto: Michael Kreibohm

Zum ersten Mal soll es der Überlieferung nach in der Neujahrsnacht anno 1756 geschehen sein. Kurz vor Mitternacht kamen die Zittauer aus ihren Häusern, standen auf den Straßen oder versammelten sich auf dem Markt. Die Stimmung war ausgelassen, viele Menschen hatten, wie es Sitte war, bunte Masken aufgesetzt. Sie fanden sich in Gruppen zusammen, in denen ein Krug Punsch die Runde machte. Begleitet vom Läuten der Kirchenglocken wünschte man sich ein allseits gutes Jahr und für Minuten erfüllte der Lärm von Rasseln sowie geschlagenen Töpfen die Stadt. Doch es war kalt und just in dieser Nacht fiel unentwegt Schnee, der die Gassen mit einer weißen Decke überzog. Also blieben die Leute nicht lange und bald zog Stille ein. Beim Nachhausegehen bemerkten einige vor der Johanniskirche plötzlich ein Weib. Wie aus dem Nichts war sie erschienen, keiner hatte sie je zuvor gesehen. Ihre hagere, gebeugte Gestalt und das Gesicht voller Runzeln, ließen ein hohes Alter vermuten. Die Leute meinten, es wäre vielleicht eine Landstreicherin, denn ihre Kleidung war ärmlich, an einigen Stellen sogar vom Feuer versengt. Um so erstaunter sahen die späten Heimkehrer, wie die vermeintlich Alte mit flotten Schwüngen den Schnee vor der Kirche fegte. So kräftig, dass sie selber im Flockenwirbel zu verschwinden drohte. Eine gruselige Szenerie, trotzdem fasste ein Bursche Mut und rief:
„He gute Frau, wer seid ihr und warum fegt ihr Schnee? In der Frühe ist alles wieder zu!“
Das Weiblein sah ihn für einen Augenblick mit merkwürdig leuchtenden Augen an. Den Umstehenden fuhr ein Schauer über den Rücken. Mit eindringlicher Stimme antwortete sie:
„Ich bin das Ascheweibchen eurer Stadt!
Ich kehr zusammen aller Orten,
wo Unglück kommt, das Asche will horten.
Zumeist kehr ich vorm Gotteshaus,
viel Leid wird sein, wenn der Tod schaut heraus.“

Vielleicht hätten die Zeugen das Geschehene schnell vergessen, wäre die Erscheinung in den kommenden Nächten nicht wiederholt aufgetreten, am häufigsten vor der Johanniskirche. Kein Wunder, dass bald der Zittauer Bürgermeister nebst den edlen Ratsherren Wind von der Sache bekam.
„Diesem Spuk werden wir ein Ende bereiten“, entschied Bürgermeister Hoffmann.
Er wies einen Ratsherrn an, mit Stadtsoldaten die vermeintliche Landstreicherin dingfest zu machen, sie zu verhören und dann in ihren Heimatort abzuschieben. Wie befohlen streifte das kleine Kommando durch die Stadt. Nach einigen Nächten wurde es tatsächlich der Alten vor der Johanniskirche gewahr. Forsch herrschte der Ratsherr sie an:
„He Alte, was in Gottes Namen fegst du zu unchristlicher Stunde den Schnee von der Gasse?“

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