Fortsetzung
Dem Vater missfiel der Mann. So wie er sich gab, schien er dem Bösen verfallen und mit dunklen Mächten verbunden zu sein. Und genauso war es. Ein Hexer, ein heimtückischer Zauberer stand vor ihm, dem er seine geliebte Wiarda ohnehin nie anvertraut hätte.
Dessen ungeachtet blieb er gelassen und lehnte das „Erbitten“ wie immer höflich ab. Die Reaktion kam erwartet, dennoch fuhr es dem Vater durch Mark und Bein. Mit drohendem Blick schaute ihn der Hexenmeister an:
„Verlass dich drauf, ich kriege deine Tochter. Und ist sie nicht willig, dann wird elend der Tod sie strafen!“
Warnend zischte er die Worte und verschwand auf ebenso mysteriöse Weise, wie er gekommen war.
Damit sich keiner ängstige, behielt der Vater diese Begegnung für sich. Mutter und Tochter blieben arglos und so kam es, dass Wiarda an einem sonnigen Morgen im Frühjahr unbekümmert durch den Burggarten spazierte. Sie ahnte nichts und weder Vater noch Mutter konnten wissen, dass der Zauberer Tag für Tag seine Raben ausschickte, um die begehrte Jungfer auszuspähen. Jetzt erkannte er seine Chance: Wiarda hatte ihre Halskette mit dem silbernen Kreuz in ihrer Kemenate vergessen. Das Symbol des allmächtigen Gottes, gegen das seine Macht versagte, war von ihr getrennt. Nun endlich konnte er sich die lang ersehnte Beute greifen!
Ein wenig wehmütig schauten die Eltern am Morgen besagten Tages vom Burggemach auf Wiarda hinab. Schön war es, sie unten im Garten umherlaufen zu sehen. Still beobachtete sie die Natur, bog sanft den ein oder anderen Zweig beiseite, erfreute sich an frischen Trieben, dem sprießenden Grün und am morgendlichen Gesang der Vögel. Schade dachten beide, dass unsere Wiarda schon diesen Sommer nach Prag wandern und sich dort einem Reisetreck gen Rom anschließen würde. Persönlich vom Papst wollte sie sich taufen lassen und danach durch beständiges Gebet der christlichen Kirche als Nonne dienen. Alles Bitten half nichts. Den Eltern blieb allein, die noch verbleibenden Monate zusammen mit ihrer Tochter in Eintracht und Freude zu genießen. Da standen sie nun – und so wie der idyllische Augenblick die reale Welt verdrängte, kam sie mit großem Schreck zurück. Sie vernahmen ein Pfeifen in der Luft, dann donnerte unter Getöse ein von zwei Greifen gezogener Wagen heran. Die riesigen Flügel der Untiere verdunkelten den Garten, als das Unfassbare geschah: Der schwarze Zauberer riss Wiarda an sich und rauschte, so schnell kein irdisches Wesen denken kann, mit ihr in die Höhe. Schauderhaft hallte sein Gelächter vom Turm der Burg wider. Die verzweifelten Rufe Wiardas jedoch waren das Schrecklichste und zugleich letzte Lebenszeichen, das die Eltern von ihrer Tochter hörten. Über den Garten legte sich wieder die Stille des Morgens. Nur die Spatzen machten ihrem Ärger durch aufgeregtes Zwitschern Luft.
Ohnmächtig im Schmerz blieben die Eltern allein in ihrer Burg zurück. Jedes Fragen, alles Suchen blieb erfolglos. Niemand kannte den bösen Hexenmeister, niemand vermochte zu sagen, wo genau seine Burg stand. So verging Jahr um Jahr. Die Eltern Wiardas alterten und verschlossen sich. Keine Freude, kein Lichtstrahl erhellte ihre Seele. Die Hoffnung, ihre Tochter jemals wiederzusehen, oder wenigsten von ihr zu hören, hatten sie längst aufgegeben, bis an einem kalten Winterabend ein gramgebeugter alter Wandersmann um Brot und Wärme bat. Am warmen Kamin gab er sich als christlicher Pilger zu erkennen und sprach:
„Weit bin ich in böhmischen Landen umhergekommen und viele eurer Volksleute haben sich unterdes zu unserem christlichen, dem wahren und einzigen, Gott bekannt. Sagt, edle Herrschaften, befindet sich in eurem Haus nicht auch ein Zeichen unseres Herrn Jesu? Mich deucht, es wäre ein kleines silbernes Kreuz an einer Halskette.“
Das alte Ehepaar durchfuhr ein Riesenschreck. Zitternd, voll banger Vorahnung, ging die Hausherrin die seit Jahr und Tag unberührte Kemenate ihrer Tochter, kam zurück und reichte dem Pilger das Kreuz.
„Da ist es! Aber sprecht, woher wisst ihr davon, frommer Bruder?“
Der Alte umklammerte das silberne Kreuz mit beiden Händen und drückte es fest an seine Brust. Tränengefüllt die Augen blickte er auf.
„Einst schenkte ich es eurer liebreizenden Tochter Wiarda. Erkennt ihr mich nicht? Ich bin es, der fränkische Mönch, dem Ihr vor langer Zeit großzügig Tisch und Schlafstelle gabt.“ Er berichtete den Eltern, dass der böse Zauberer Wiarda damals zwar gewaltsam auf seine Burg brachte, aber, welche Mittel er auch anwendete, es nie vermochte sie zur Frau zu machen. Standhaft bekannte sie sich zu ihrem Gott, verachtete das Götzentum und widersetzte sich Zauberei sowie Gewalt. Wütend darüber hätte der Hexer Wiarda in ein Verlies unter der Burg gesperrt, wo sie nach einem Jahr voller Einsamkeit starb. Von seinen Worten selbst mitgenommen atmete der Mönch tief und erzählte weiter:
„Kurz darauf bestrafte Gott den Frevler! Er ließ einen Blitz auf ihn niederfahren. Und während seine Seele jetzt Höllenqualen erleidet, ist die eurer Tochter ins ewige Leben gelangt. Genau, wie sie es sich an diesem Kamin einst erträumte.“
Nach langem Schweigen stand die brennendste Frage seinen Gegenübern förmlich ins Gesicht geschrieben. Der Mönch fuhr fort:
Hallo Herr Krenz!
ich war neulich wandern am Kottmar, mit dem Ziel die Spreequelle dort zu besuchen. Im Vorfeld habe ich im Internet Ihre Erzählung zur Sage vom Kristallsarg gefunden. Vielen Dank für Ihre Niederschrift. Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Forschung unter anderem mit Sagen und Ihrem Bedeutungsgehalt. Aus meiner Erfahrung haben die alten Sagen ein Ursprung der zeitlich weit zurück liegt, noch vor der Christianisierung. Sie schreiben, dass es zu dieser Sage mehrere Versionen gibt. Können Sie mir dazu Quellenangaben machen oder sogar direkt diese Texte zur Verfügung stellen? Gibt es Versionen, in denen keine kirchlicher Hintergrund vorkommt?
Ich freue mich auf Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
St. Schoen