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oberlausitz-sage-kristallsa

erzählt von Arnd Krenz
Die Sage vom Kristallsarg im Kottmarberg zählt zu den älteren mündlichen Überlieferungen in unserer Region. Sie fällt in eine Zeit, als es östlich der Elbe noch keine Deutschen gab und die ansässige Bevölkerung vom Begriff Oberlausitz noch lange nichts ahnte. Im Gebiet lebte der slawische Stamm der Milzener, mit seiner Hauptburg im heutigen Bautzen. Südlich schloss sich das Siedlungsgebiet der Böhmen beziehungsweise Tschechen an. Sie galten als Heiden und pilgernde Mönche, hauptsächlich aus Franken, sollten sie zum Christentum bekehren. Ziel der römisch-deutschen Kaiser war, im Reich homogene Herrschaftsstrukturen sowie Voraussetzungen für eine spätere deutsche Ostkolonisation zu schaffen. Dass die Missionierung nicht ohne Konflikte abging, wissen wir aus der offiziellen Historie. Ebenso können wir diese und andere Tatsachen aus unserem reichhaltigen Sagenschatz erfahren, wie aus der folgenden Geschichte:

blauer Balken

Einst, es soll vor über 1.000 Jahren gewesen sein, pilgerte ein junger Mönch durch unsere Gegend. Sein Auftrag war, den Menschen im Land die Geschichte Jesu zu vermitteln und ihnen die Botschaft des Christentums ans Herz zu legen. Bei Gott keine einfache Mission! Unendlich lange Wege, bergauf bergab durch kümmerliche Felder sowie dunkle Wälder musste er laufen. Und immer dort, wo er auf Leute traf, versuchte er so gut er konnte mit ihnen zu sprechen. Wie glücklich war er, eines Tages im Nordböhmischen an eine kleine Burg zu kommen, in der ihm die Herrschaft freundliches Nachtlager gewährte. Wie es sich schickte, hatte diese Adelsfamilie eine Tochter. Und da es ihre Einzige war, waren Vater und Mutter nahezu vernarrt in sie. Ein wunderschönes Geschöpf, wie auch der Mönch bald fand. Er blieb ein paar Tage, und weil beide offenbar Gefallen aneinander fanden, saßen sie an langen Abenden stundenlang am Kamin und redeten. Aufmerksam lauschte Wiarda, so hieß die Jungfrau, seinen Worten. Sie erfuhr vom Sohn Gottes, der für uns alle am Kreuz starb. Sie hörte auch von dessen Auferstehung und dem kommenden Reich Gottes. Ganz warm ums Herz ward ihr bei den Schilderungen des Mönches. Mit einem Mal kamen ihr die Götzen und alten Gebete ihres Volkes fremd vor.
„Wie herrlich wäre es doch“, dachte sie,
„wenn ich für diesen Gott da sein und nach dem Tod ins ewige Leben gelangen könnte.“
Alles, was der Mönch sagte, hatte sie nicht verstanden, doch ihr Entschluss stand fest: Sie wollte nach Rom gehen, die Taufe empfangen und fortan mit ihrer ganzen Person der christlichen Kirche dienen. Der Mönch hörte das gern und schenkte Wiarda als Zeichen ihres neuen Glaubens, ein silbernes Kreuz.
„Behüte es wohl“, flüsterte der ihr ins Ohr.
„Solange du es trägst, wird es dich beschützen und vor bösem Zauber bewahren.“
Nicht ohne Wehmut und in tiefer Dankbarkeit verabschiedete er sich von Wiarda sowie
ihren Eltern und verließ die Burg.

blauer Balken

Wiardas Eltern kam das Ansinnen ihrer Tochter, nach Rom zu gehen und dem christlichen Gott zu dienen alles andere als gelegen. Trotzdem liebten beide ihr Kind wie zuvor und waren auch dem Mönch nicht gram. Kurze Zeit, nachdem Letzterer sie verlassen hatte, fügte es sich, dass erste Freier vor den Toren der Burg erschienen. Jeder von ihnen selbstverständlich von slawischem Adel. Einige davon hätten Wiardas Eltern gewiss gern als Schwiegersohn gesehen. Doch es half nichts, das Mädchen war fest entschlossen und so wies der Vater alle Freier ab. Große Auseinandersetzungen gab es deswegen keine, bis auf einen Bewerber. Ein scheinbar aus Mähren stammender Edelmann – von oben bis unten in feinste Kleider aus schwarzem Stoff gehüllt – stand plötzlich da und verlangte Wiarda.
„Gebt mir eure Tochter“, forderte er in anmaßendem Ton.
„Sie ist eine Zier; ich bin reich und ist sie fügsam, wird es ihr in meinem Burgward an nichts fehlen.“

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