Fortsetzung
„Geht nur einen halben Tag gen Mitternacht (Norden d. A.) und ihr gelangt an einen Berg namens Kottmar. Wartet am Fels an der Morgenseite (Osten d. A.), bis Dunkelheit den Berg umhüllt. Haltet das silberne Kreuz gegen den Stein und ihr werdet eure Tochter wiedersehen.“
Ohne lange zu überlegen, machten sich die Eltern trotz Kälte und Schnee schon in der Frühe des folgenden Tages auf den Weg. Sie taten, wie ihnen der Mönch beschrieben, und tatsächlich: Vor ihren Augen öffnete der Felsen einen torartigen Durchgang. Sie gingen weiter und standen unversehens in einem mit Tausend Lichtern erhellten Gewölbe. Mittendrin ein kristallener Sarg, umgeben von Blumen und frischem Grün. Sie traten näher und da lag sie – ihre Wiarda! Noch schöner als in der Erinnerung, in holder Jugend mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Überwältigt von ihren Gefühlen sanken sie auf die Knie, die Mutter legte das silberne Kreuz auf den Sarg. Eines Wortes waren sie nicht mehr fähig, nur ihre Tränen zeigten, wie froh und dankbar sie waren, endlich wieder mit ihrer Tochter, mit ihrer geliebten Wiarda, vereint zu sein …
Dieser Sage nach stehen die Särge von Wiardas Eltern bis heute neben dem ihrer Tochter in einer Höhle unter dem Kottmar. Ob sich das Felsentor jemals wieder aufgetan oder ob ein Mensch dieses Gewölbe je wieder betreten hat, ist unbekannt. Nur manchmal, so munkelten die Alten, würden des Nachts drei kleine Flammen an der Ostseite des Kottmars zu sehen sein. Sie brennen für eine kleine böhmische Adelsfamilie, die bis in den Tod zusammenhielt. Sie brennen für Wiarda, einem tapferen Mädchen, das ihren Weg zum Christentum fand und bösen Zauber besiegte. Vielleicht aber brennen sie auch für uns. Für uns Menschen in der Oberlausitz, dass wir nie vergessen, woher wir kommen und verstehen, dass in jeder Sage ein Stück Erkenntnis und Wahrheit steckt.
Titelbild: Der Kottmar von Ebersbach aus gesehen, Foto Kay Sbrzesny
Erzählt nach der Variante in: „Sagenhafte Welt der Oberlausitz“
in oberlausitzer-geschichte.de
Hallo Herr Krenz!
ich war neulich wandern am Kottmar, mit dem Ziel die Spreequelle dort zu besuchen. Im Vorfeld habe ich im Internet Ihre Erzählung zur Sage vom Kristallsarg gefunden. Vielen Dank für Ihre Niederschrift. Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Forschung unter anderem mit Sagen und Ihrem Bedeutungsgehalt. Aus meiner Erfahrung haben die alten Sagen ein Ursprung der zeitlich weit zurück liegt, noch vor der Christianisierung. Sie schreiben, dass es zu dieser Sage mehrere Versionen gibt. Können Sie mir dazu Quellenangaben machen oder sogar direkt diese Texte zur Verfügung stellen? Gibt es Versionen, in denen keine kirchlicher Hintergrund vorkommt?
Ich freue mich auf Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
St. Schoen