Kellerführungen und unterirdische Gänge in Löbau / Oberlausitz

Alle Jahre wieder bietet die Stadt Löbau in der Zeit ihres Weihnachtsmarktes (Video →) Kellerbegehungen an. Die Leute besuchen diese Veranstaltungen gern, denn seltsamerweise übt alles, was unter der Erde steckt, eine besondere Faszination aus. Auch in anderen Städten der Oberlausitz gibt es solcherart Führungen. Und egal wo, immer wieder stellen Teilnehmer dabei die gleiche Frage:
„Existieren hier unterirdische Gänge und wenn ja, wo führen diese hin?“
Sicher sind es auch alte Sagen von unter der Erde hausende Gnomen und diversen Fabelwesen, die die Fantasie befeuern. Desgleichen Geschichten, die berichten, wie Menschen Schutz vor Feinden suchten und über verborgene Wege ungesehen verschwanden. So soll zum Beispiel ein unterirdischer Gang vom Oybin nach Zittau, ein anderer von Kirschau bis hinter Großpostwitz und wiederum ein anderer von der Löbauer Johanniskirche zum Löbauer Berg führen (um nur einige Beispiele zu nennen).

 

Augenzeugenbericht aus Löbau

Was ist an solchen Gerüchten dran? Ein Augenzeugenbericht aus Löbau von vor über 100 Jahren kann Aufschluss geben.

Hier den Bericht lesen (in das blaue Feld klicken):

Unterirdische Gänge in Löbau?

Ein Originalbericht von K. Korn aus dem Jahre 1913

Geheimnisvolles, Gruseliges haben unterirdische Gänge. Das erklärt sich aus ihrer Anlage und ihrer Bestimmung. Sie boten einstmals Gelegenheit zum Entfliehen bei Belagerungen, vermittelten aber auch den geheimen Zugang zu Burgen, Schlössern, Klöstern, Kirchen usw., deshalb auch die unterirdische Anlage. Der Volksmeinung nach besaßen sie mitunter eine unglaubliche Länge. Manche sollen sogar unter fließenden Gewässern hinwegführen. Dies wurde früher auch von dem einen der Löbauer Klostergänge behauptet. Dies und sodann das andere, daß er sehr steil zum Löbauer Wasser abfallen müsse, bewogen mich, da diese Annahme von berufener Seite stark bezweifelt worden war, im Jahre 1913 Nachforschungen anzustellen. Bekannt war mir durch meinen Großvater, daß beide Gänge in der Krypta der früheren Kloster-, jetzt Johanniskirche ihren Anfang genommen hatten. Mein Großvater war als Schüler des Löbauer Lyceums mit mehreren anderen in den einen Gang, der ins Rathaus führte, eingedrungen. Man hatte aber infolge „dicker Luft“ nicht weit gehen können. Die Öffnung des anderen Ganges sollte sich in einem kleinen Seitenraume der Krypta befunden haben. Dies bestätigte auch mir gegenüber eine Frau, unter deren Führung ich als Seminarist den genannten Seitenraum besuchte. Sie erzählte mir dabei, daß ihr Vater den Gang habe zumauern helfen. Er habe dabei die in den Berg hineinführenden Stufen gesehen. Also war zunächst das Vorhandensein beider Gänge nicht zu bezweifeln. Nachdem mir vom Rat zu Löbau gütigst Erlaubnis zum Nachforschen zuteil geworden war, begann ich mit zwei Arbeitern im Beisein des Herrn Stadtbaumeisters mein Werk. Genannter Herr machte mich zuvor auf die Tür des Seitenraumes aufmerksam, die vor langer Zeit von innen hatte verriegelt werden können, und er brachte dies mit dem Gange in Beziehung, außerdem glaubte er an der einen Wand des Raumes einen Entlastungsbogen zu erkennen. Da der Fußboden eine Aufschüttung aus späterer Zeit aufwies, was daraus hervorging, daß darin Topfscherben gefunden wurden, begannen wir zunächst auszuschachten. Zu unserem größten Bedauern mußten wir aber schon bei einem halben Meter Tiefe sehen, daß die Grundmauer aufhörte, ohne daß sich das ersehnte Mundloch des Ganges gezeigt hatte. Wir wuchteten nun mit unsäglicher Mühe aus der Nebenwand einen großen Stein und merkten dabei, wie eisenfest die Mauern von Anno 1336 gebaut waren, aber – zweite Enttäuschung – wir stießen auf sogenannte „gewachsene Erde“. In dem Seitenraume war also unser Forschen vergeblich. Blieb nur noch die Blendnische in der Westmauer der Krypta, die mit einem zugemauerten Türeingang große Ähnlichkeit hat. Wieder wurden Steine aus der scheinbar später ausgeführten Mauer gelöst und wieder zeigte sich dahinter kein Hohlraum, obwohl die sichtbar werdende lockere Erde auf eine Zuschüttung hinwies. Als aber der Herr Stadtbaumeister mit einem Stabe die Erde schräg nach oben zu durchstieß und keine Wölbung fand, mußten wir auch die Annahme, daß hier der Rathausgang den Anfang genommen fallen lassen, was um so bedauerlicher war, als Rat und Bürgerschaft während der Nachforschungsarbeit das regste Interesse bekundet hatten. Ich stand vor einem Rätsel. Hatten mich Großvater und jene Frau falsch berichtet. Fast mußte ich es annehmen; denn nun wurden die verschiedensten Meinungen laut. Alte Löbauer Bürger, die sich eingefunden hatten, gaben die verschiedensten Stellen an, wo nachgeforscht werden müsse. Nach Meinung des einen war ein Kellerraum der Bürgerschule, die dort steht, wo sich einst das Franziskanerkloster befand, der rechte Ort. Ein andrer hatte in einem noch vorhandenen Klostergewölbe die eiserne Tür des Ganges gesehen. Diese Aussage fand Beachtung. Es wurde später in dem betreffenden Gewölbe vom Herrn Stadtbaumeister nachgeforscht und – nichts gefunden. Nun sind mir die Löbauer unterirdischen Gänge nicht bloß geheimnisvoll, sondern auch rätselhaft geworden. Wird einmal das darin befindliche und darüber schwebende Dunkel gelichtet werden? Es vorlohnte sich, zumal seinerzeit behauptet wurde, daß in dem nach dem Berge zu führenden Gange im Kriege von 1813 der Silberschatz des Bürgermeisters Quirner verborgen worden sein soll.

Aus: „Oberlausitzer Heimatzeitung“ 1. Jahrgang, Nr. 10, Sonntag, 8. Februar 1920

 

Prähistorische unterirdische Anlagen

Auch wenn bei uns bis dato noch kein größerer Gang geortet wurde, muss das noch lange nicht heißen, dass es keinen gibt. Hochinteressant in diesem Zusammenhang ist die Forschungsarbeit von Dr. Heinrich Kusch. Er befasst sich hauptsächlich mit unterirdischen Anlagen in Österreich und hat sogar Tunnel gefunden, deren Entstehung er bis ins Neolithikum vermutet. Seiner Meinung nach existieren derartige steinzeitliche Bauten überall in Europa. Möglicherweise gibt es sie ja auch in der Oberlausitz, da in unserer Gegend, wie Fundstücke beweisen, zu dieser Zeit bereits Menschen siedelten. Genaues weiß allerdings keiner, und so bleibt insgesamt die Vermutung auf Existenz unterirdischer Gänge reine Spekulation. Bis vielleicht doch einer eines Tages …

Sehen Sie hier einen Vortrag von Dr. Heinrich Kusch: