Was uns ein Haus erzählen kann – die alte Posthalterei in Bautzen

Vor dem Abriss gerade noch bewahrt

Eigentlich sollte das lange Haus an der Bautzener Goschwitzstraße schon einige Jahre abgerissen sein. Ist es aber nicht, denn in der Stadt formierte sich eine Bürgerinitiative, die gegen das geplante Einkaufszentrum zwischen Äußerer Lauen- und Seminarstraße mobil machte. Auch die Denkmalschutzbehörde brachte ihr Veto ein. Sie hatte in einer Expertise festgestellt, dass der zu einem ehemaligen Wohn- und Geschäftsgebäudekomplex gehörende Bau als historisch wertvoll anzusehen ist. Ein Abriss zugunsten eines Shoppingcenters wäre demzufolge höchst bedenklich. Ursprünglich bestand das Gebäude aus drei Einzelhäusern. Sie gehörten einst zur südlichen Peripherie von Bautzen und sind ein unersetzliches Zeugnis älterer vorstädtischer Bebauung. Nicht wieder gutzumachen wäre der Schaden auch deshalb, weil bis Anfang des 19. Jahrhunderts hier eine Poststation unterhalten wurde und das Haus damit eines der seltenen erhalten gebliebenen Manifestationen sächsischer Postgeschichte darstellt. Dazu kommt ein Ereignis, das außerhalb von Bautzen nur wenige kennen. In ihr gab es in der Nacht zum 14. Dezember 1812 einen Vorfall, der dem damaligen Posthalter im Nachhinein übel mitspielen sollte.

Das russische Desaster – Napoleon setzt sich ab

Wie so oft in jener Zeit, hing die Episode mit Napoleon zusammen. Dieses Mal allerdings nicht im weiteren Sinne, sondern es ging um den französischen Kaiser höchstpersönlich. Ihren Anfang nahm die Begebenheit in Moskau. Napoleon hatte die Stadt im September 1812 eingenommen, doch die russischen Entscheidungsträger, allen voran Zar Alexander I. hatten Moskau verlassen. Niemand wollte mit ihm über Kapitulation verhandeln. Stattdessen brannte die russische Metropole sukzessive ab. Frustriert verließ Napoleon deshalb im Oktober Moskau und setzte seine Grande Armee nach Südwesten Richtung Smolensk – Minsk in Bewegung. Zu spät, wie die Russen wussten, denn ihnen war klar, dass bald ein anderer Feldherr den Franzosen mächtigen Ärger bereiten würde. So war es auch. Am 7. November begann General Winter sein Zepter zu schwingen. Lediglich Ende November hatte er mit den Franzosen ein kurzes Einsehen und schickte ihnen Tauwetter. Dieser Phase nutzte Napoleon, um mit seinen Truppen den Fluss Beresina zu überqueren. Dabei aber schlugen ihn die Russen empfindlich zusammen. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, kam es danach für Napoleon ganz dick. Die Temperaturen fielen Anfang Dezember wieder auf – 37 Grad. Der Kaiser gab seine Armee auf. Er versammelte noch einmal die Marschälle und übergab das Kommando über die Reste seinem Schwager, dem König von Neapel, Joachim Murat. Dann zog er die Uniform aus, hüllte sich in warme Zivilkleidung und flüchtete inkognito mit dem Großstallmeister Caulaincourt als dessen Sekretär nach Paris.

Wer ist denn der Kerl?

Zwei Wochen dauerte die Schlittenfahrt, während der er auch Bautzen passierte. Hier nun ereignete sich jene eingangs erwähnte Szene, die auch Bernd Engelmann in seinem Museum an der Gemauerten Mühle Bellwitz figürlich dargestellt hat.

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In der Nacht zum 14. Dezember 1812 (Sonntag zu Montag) kam das kaiserliche Inkognitogespann an die Poststation auf der heutigen Goschwitzstraße. Getreulich tat hier seit über 30 Jahren der sächsische Posthalter Christian Friedrich Rohne Dienst. Wie er sah, dass zu so ungewöhnlicher Zeit ein Schlitten vorfuhr, griff er argwöhnisch seine Laterne und ging hinaus. Kaum knirschte der Schnee unter seinen Füßen, forderte ihn eine Stimme barsch auf, sofort die Pferde zu wechseln. Der Postmeister ließ sich jedoch nicht beeindrucken. Letztendlich war Krieg und manch Gesindel trieb des Nachts auf den Straßen sein Unwesen. Ergo leuchtete er zuerst das Gefährt ab, bis das Licht seiner Lampe auf dessen vermummten und ruhig dasitzenden Insassen traf.
„Wer ist denn der Kerl“, fragte Rohne den Kutscher.
„Der Herzog von Vicenca“, antwortete dieser gereizt.
„Außerdem“, so fuhr er ihn herrisch an, „hat ein Posthalter Pferde zu stellen und keine Gendameriedienste zu verrichten!“
Kaum gesagt, erschrak er über sich selbst, besonders, als er in die zornigen Augen des Posthalters blickte. Fast wäre die geheime Fuhre durch seine Selbstvergessenheit aufgeflogen. Sofort stimmte er einen versöhnlicheren Ton an und siehe da, er bekam seine Pferde. Der Schlitten fuhr weiter Richtung Bischofswerda und für Rohne wäre die Sache auch bald vergessen gewesen, wenn er nicht kurze Zeit später ein Schreiben aus Dresden erhalten hätte. Darin stand, welch hochrangige Person ihn in dieser Nacht besuchte. Obwohl er das nicht wissen konnte, verhaftete man ihn, brachte ihn nach Dresden und steckte ihn ins Gefängnis. Erst im Ergebnis der Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813), nachdem Napoleon in Sachsen nichts mehr zu melden hatte, kam er wieder in Freiheit. Lange allerdings durfte er sie nicht mehr genießen. Er verstarb am 31. Oktober anno 1813.